Polarforscher Dr. Sittler hält Vortrag am Vikilu

Gewöhnt man sich eigentlich an die Kälte?“, fragte ein Fünftklässler den Polarforscher Dr. Benoît Sittler, der seit über 30 Jahren jedes Jahr für zwei Monate auf der Insel Trail im Nationalpark Nordost-Grönland unter schwierigsten Bedingungen forscht. Sittler war am 12. Februar 2019 Gast am Vikilu, um von seinen Grönlandexpeditionen zu berichten. Er untersucht auf Trail, warum sich Lemminge in manchen Jahren massenhaft vermehren. Bilder der faszinierenden arktischen Landschaften zogen die Schülerinnen und Schüler im Alter von 10 bis 18 gleichermaßen in ihren Bann. Sie folgten Sittler mit großem Interesse auf den Spuren der Lemminge, Moschusochsen, Schneehasen, Hermeline, Falkenraubmöwen, Polarfüchse und Schneeeulen. Erläuterungen zum überschaubaren Nahrungsnetz dieser Tiere, die nicht nur durch ihren jahreszeitlich stattfindenden Farbwechsel perfekt an die besonderen Lebensbedingungen in der Arktis angepasst sind, offenbarten, wie sehr die Tiere voneinander abhängig sind. Eine erschütternde Beobachtung Sittlers ist, dass die Verhältnisse seit dem Jahr 2000 völlig aus dem Rhythmus geraten sind: Durch die Klimaerwärmung fällt der Schnee in Grönland immer später und taut zunehmend früher wieder weg. Den Lemmingen bleibt für die Reproduktion im Schutz der Schneedecke zu wenig Zeit. Dadurch fehlen die Massenvermehrungen und somit die Beutetiere, die zur Aufzucht von jungen Polarfüchsen, Schneeeulen und Falkenraubmöwen gebraucht werden. Die Nahrungsnetze brechen allmählich zusammen, brütende Schneeeulen gehören auf Trail schon lange der Vergangenheit an. Traurig stimmten auch Fotos der zahlreichen Moschusochsenkadaver, die Sittler in jährlich steigender Anzahl entdeckt: Immer öfter taut der Schnee an und gefriert wieder, sodass die Tiere den Schnee mit ihren Hufen nicht mehr wegscharren können und verhungern. Die Eisbären, die sich gewöhnlich auf dem Packeis aufhalten und dort jagen, führt die verzweifelte Suche nach Nahrung inzwischen regelmäßig auf das Festland und somit auch zum Camp der Forscher: Die Grönlandaufenthalte sind für Sittler und sein Team inzwischen so gefährlich, dass sie das mit Elektrozäunen gesicherte Lager nur noch mit Leuchtraketen, Pfefferspray und Gewehren verlassen können. Am Ende seiner Vorträge flogen die Finger der wissbegierigen Schülerinnen und Schüler nach oben. Auf die eingangs zitierte Frage des Fünftklässlers antwortete Sittler: „Die Kälte bleibt ebenso eine große Herausforderung wie der Transport aller notwendigen Lebensmittel und Ausrüstungsgegenstände an diesen entlegenen Ort.“ Dennoch hofft er, die Forschungsarbeiten auf Grönland fortsetzen zu können. Die dazu nötigen Projektmittel werden zum Teil auch durch Spenden gedeckt.